Donnerstag, 29. Januar 2009

Die Ruhe vor dem Sturm ?

Hallo zusammen,

ich wollte mal wieder was von mir hören lassen....

nachdem ich am Montag frei hatte, hat meine Woche relativ routiniert angefangen. Gestern stand für mich unter anderem ein Accompagnement von zwei Jugendlichen zum „bus dentaire“ an. Das ist eine mobile Zahnarztpraxis, finanziert von der Stadt Paris, zu der Patienten ohne Sozialversicherung gehen können - also perfekt für unsere Jugendlichen.
Dienstags parkt der Bus immer in einem Hof einer Verteilungsstelle für Lebensmittel. Es war für mich sehr berührend zu sehen, wer da alles mit großen Taschen Schlange steht um ein paar Konserven, Kartoffeln Gemüse usw. zu bekommen. Neben Menschen, denen man wirklich ansieht, dass die bedürftig sind, waren dort auch viele „normale“ bis gut angezogene Leute, die sich in die Schlange eingereiht haben. Denen fehlen dann wohl die entscheidenden 100€ in der Haushaltskasse um für die Familie Lebensmittel zu kaufen....

Heute Nachmittag stand Animation auf dem Programm. Meine Kollegin, Astrid, hat einen „Ausflug“ zum planing familial gebucht, einer Einrichtung, die sich der Aufklärung über Verhütung und selbstbestimmte Schwangerschaft verschrieben hat.
Ich bin immer noch sehr begeistert, weil es echt gut gelaufen ist!
Ich durfte dann für die Afrikaner und Srilankesen alles auf Englisch übersetzen - für mich erstmal nicht so einfach, denn auch ich musste mich erstmal ein bisschen freireden, bevor ich all die tollen Sachen explizit benennen konnte....mal soeben auf Englisch zu erklären wie genau man ein Kondom überzieht, was Abtreibung ist, was genau Masturbation usw. bedeutet, das war gar nicht so einfach. Zum Glück konnte ich das Fachvokabular ja schon von meinem „sexual styles/ sexual journeys course“ am College in Canada ;-)
Auch interessant war mitzubekommen, wie die unterschiedlichen Jugendlichen über Sexualität reden konnten oder auch überhaupt Bescheid wussten – es ist echt unglaublich, was die Afghanen zum Teil in der Schule über Sexualität gelernt haben....nur Teufelszeug uns so – ist klar !
Ich habe richtig Lust demnächst nochmal so eine Veranstaltung zu organisieren, aber dann vor allem zum Thema HIV/Aids. Denn heute ist richtig klar geworden, dass die meisten noch gar nicht so viel darüber wissen, bzw. sich keine Gedanken machen...

Und warum heißt der Blogeintrag eigentlich „Ruhe vor dem Sturm?“
Ganz einfach: morgen werde ich die Gelegenheit haben das erste mal einen berüchtigten nationsweiten Generalstreik zu erleben.
Alle wichtigen Gewerkschaften streiken morgen, so natürlich auch die öffentlichen Verkehrsmittel. Anstatt 6 S-Bahnen wird morgen nur noch eine pro Stunde fahren. Das Gleiche gilt für die Metro Busse....usw. Es streiken auch die Lehrer.

„Was, du wohnst in Boissy ? Ne, dann versuchs erst gar nicht am Donnerstag nach Paris rein zukommen“, „Meine Freundin ist um 5 Uhr morgens am Bahnhof um rechtzeitig zur Arbeit zu kommen.“

Solche Sachen habe ich mir heute den ganzen Tag anhören müssen. Ich will es aber dennoch morgen wagen und versuchen zur Arbeit zu kommen. Ausgestattet mit audacity of hope, jeder Menge Podcasts und gute Schuhe zum Laufen, werde ich das hoffentlich schaffen. Ich schreibe dann morgen, wie es gelaufen bzw. vielleicht auch nicht gelaufen ist.

Dienstag, 20. Januar 2009

hallo 2009

Hallo Welt,

viel viel zu lang ist es her, dass ich meinen Blog aktualisiert habe. Das soll sich jetzt aber ändern!

Seit meinem letzten Blogeintrag ist viel Zeit vergangen und dementsprechend auch viel passiert.

Der Wechsel zu meiner eigentlichen Arbeitsstelle Anfang Oktober ist sehr gut verlaufen. Es war schon auffällig, wie anders ich dort als deutscher Freiwilliger behandelt werde. Während man im CAOMIDA immer alles „hundertmal“ erfragen muss, nichts Konkretes bekommt und alles irgendwie schwammig organisiert ist, ist es in der Platforme alles besser organisiert. Ich werde quasi als richtiger Mitarbeiter behandelt. Das fängt bei dem Pünktlichsein morgens an,(bin meistens eh der erste, der aufschließt, deutsche Pünktlichkeit halt ^^) geht über klare Arbeitsbereiche und Aufgaben und hört bei festen Arbeits- und Urlaubszeiten auf. Nach dem etwas „laschen“ Monat im CAOMIDA kam mir das zum Teil etwas befremdlich vor, aber ich fühle mich auch geschmeichelt, dass ich für so „vollwertig“ genommen werde und finde es korrekt in dieser Organisation und zu arbeiten.

Ja wann kommt er denn dazu endlich zu schreiben, was er den ganzen Tag in der Plateform macht?!?!?
Ich habe hier einfach nochmal einen Auszug aus meinem Rundbrief. Ich finde, der umreißt ganz gut, was ich da so mache:

„Pünktlich zum 1. Oktober habe ich dann, für mich dennoch etwas abrupt, in meiner eigentlichen Arbeitstelle der „La Plate-forme d’accueil pour les mineurs isolés“, einer Anlaufstelle für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge im 18. Arrondissement von Paris angefangen. In der Plate-forme arbeitet ein zehnköpfiges Team aus Sozialarbeitern und einer Französischlehrerin.
Täglich kommen neue Jugendliche in Paris an. Sie schlagen sich entweder selber bis Frankreich durch oder werden von Schleusern hier abgesetzt. Einmal angekommen leben diese Flüchtlinge dann auf den Straßen von Paris und schlafen in Parks oder in den Metrostationen. Vorrangiges Ziel der Plate-forme ist es daher diesen Flüchtlingen einen ersten Schutz bieten zu können. Zu diesem Zweck stehen 50 Schlafplätze in einfachen Hotels zur Verfügung. Außerdem erhalten die Jugendlichen jeden Tag einen Gutschein um sich Nahrungsmittel kaufen zu können.
Die Sozialarbeiter nehmen die Geschichte der Jugendlichen auf und beraten diese. Die Flüchtlinge werden solange von der Plate-forme begleitet bis ein Platz in einem französischen Kinderheim für sie gefunden wurde. Das geht manchmal recht schnell, aber es gibt auch Jugendliche, die schon seit 4 Monaten warten. Die Anlaufstelle funktioniert also sozusagen als Übergangsstelle für die Flüchtlinge.
Über dreiviertel der Jugendlichen in der Plate-forme kommt aus Afghanistan. Daneben gibt es auch einige Flüchtlinge aus dem Kongo, dem Sudan oder Eritrea.

Mein Arbeitstag beginnt für mich immer schon sehr früh: mit der S-Bahn und Metro brauche ich mindestens eine Stunde vom Caomida bis zur Plate-forme. Letztere öffnet um 9 Uhr. Ich mache den Jugendlichen dann ein einfaches Frühstück. Während des ganzen Tages bin ich Teil des „Accueil-Teams“. Das bedeutet nicht nur Anrufe entgegen zunehmen und weiterzuleiten, sondern auch Jugendliche, die gerade neu ankommen willkommen zu heißen. Wenn es die Sprache zulässt, ist es auch schön mit den Jeunes ins Gespräch zu kommen. Viele unterhalten sich gerne mit mir und interessieren sich für Deutschland.
Ein weiterer Aufgabenbereich von mir sind die „Accompagnements“. Fast täglich begleite ich die Jugendlichen bei Behördengängen, zu ärztlichen Untersuchungen und Impfungen oder helfe ihnen bei der Einschreibung für eine Französischklasse. Anfangs ist es mir sehr schwer gefallen, da mein Französisch ja auch noch nicht so gut war. Mittlerweile stellt das aber kein Problem mehr für mich da und es ist ein sehr schön zu spüren wie dankbar die Jugendlichen für diese Hilfe sind.
Einmal in der Woche gehe ich mit den Jugendlichen Fußball spielen. Dabei merkt man richtig wie gut ihnen der Sport tut. Ich glaube, dass die Bewegung und das Zusammenspielen ein gutes Mittel ist, um der eigenen Unzufriedenheit aber auch der Unsicherheit Platz zu machen.
Außerdem organisiere ich zusammen mit einer Kollegin einmal pro Woche einen Ausflug für die Jugendlichen. Das können kleine Sachen, wie ein Ausflug zum Hochausviertel „la Défense“ oder aber auch größere Ausflüge wie zum Schloss nach Versailles sein. Hier kann ich auch gut das einbringen, was ich im ersten Monat als Animateur im Caomida gelernt habe.
Generell empfinde ich die Arbeit in der Plate-forme „rauer“ als im Caomida. Die Jugendlichen in der Anlaufstelle sind zum Beispiel in materieller Hinsicht viel schlechter gestellt. Die Kleidung, welche sie tragen ist oft die einzige, die sie besitzen. Sie haben keine wirkliche Vertrauensperson, die ihnen zur Seite steht oder Regeln aufzeigt. Nicht zuletzt ist manchmal das sehr lange Warten auf einen Heimplatz sehr frustrierend . Das äußert sich nicht nur in dem zum Teil verbal „hitzigen“ Klima, sondern auch in Handgemengen und Schlägereien.
Gerade jetzt wo es draußen kälter wird kommen täglich regelrechte „Wellen“ von neuen Jugendlichen. Leider dürfen wir nur 50 Jugendliche aufnehmen und so müssen wir jeden Tag Neuankömmlinge enttäuschen und abweisen. Das ist ganz schön hart, denn wer als Jugendlicher jetzt nachts draußen im Park schläft, dem droht nicht nur eine Erkältung oder völlig durchnässt zu werden, sondern auch das Opfer von Gewalt und Diebstahl zu werden. „


Kurz vor Weihnachten hatte ich dann einen Punkt erreicht, an dem es mir alles zu viel war: die Jugendlichen, das frühe Aufstehen das späte nach Hause kommen nach meinem Sprachkurs, das viele Metro und RER Fahren, die Dunkelheit, die wenige Zeit Sport zu machen, die Tatsache, dass keine Weihnachtsstimmung aufkommen wollte usw......irgendwie habe ich es so richtig gespürt, was „metro, boulot, dodo“ bedeutet.
Um so schöner war es dann, über Weihnachten zurück nach Bonn zu fahren. Ich habe richtig gemerkt, wie mir die Zeit in Deutschland gut getan hat: einfach mal was anderes machen und weg von der Arbeit kommen.

Gerade im Moment bin ich zwar auch hundemüde, aber ich fühle mich ausgeglichen und habe das gute Gefühl aus dem Vollen schöpfen zu können.

In meiner Arbeitsstelle ist gerade ein bisschen der Teufel los, weil im Januar eine regelrechte Welle von Afghanen in Paris ankam. Es sind unter anderem auf einmal so viele, weil die griechische Polizei mit den eigenen randalierenden Jugendlichen beschäftigt ist und es deshalb vielen Afghanen die Passage durch Griechenland gelungen ist.
Die Kapazitäten wurden auf 70 Jugendliche erhöht und wir haben auch zwei neue Kolleginnen bekommen. Nur die Räumlichkeiten sind nach wie vor die alten, und so muss man sich manchmal schon etwas den weg frei kämpfen, wenn man vom einen Raum in den anderen will.

Ich komme jetzt mal besser zum Ende, denn morgen muss ich früh raus...

bis dahin

Je vous prie d'accepter, Monsieur/Madame, l'expression de mes salutations distinguées.